Das Kamel

Das Kamel ist so mager, es geht unschwer durchs Nadelöhr, nur kommt es so leicht nicht wieder retour.

Mit Kreditkarte ist aber alles leicht, und ‚Alles?’ fragt mich auch die Frau an der Kasse, doch wie immer habe ich den doppelten Boden meiner Tasche angefüllt mit Waren aller Art. Da ich von Haus aus verlogen bin, entgegne ich auf die Frage mit einem deutlichen ‚Ja’. Einiges habe ich aufgeschoben auf Band, im Spiegel ober uns begegne ich einem traurigen Blick.

Das Zeug das ich nach Hause schleppe benötige ich in Wahrheit nicht, aber was ist schon wahr? An der Kasse finden niemals Begegnungen statt, obwohl es sich gerade an diesem Ort staut. Wo es staut kommt Ungeduld auf. In der Ungeduld gibt man Dinge preis, oder macht sich vorher lieber einem Ärger noch Luft.

Dazu aber kommt es heute nicht, denn: das kann doch nicht wahr sein, der Franz! ‚Bitte, Franz stößt’, will ich sagen, denn er steht mit dem Wagerl in der Schlange hinter mir und ich sage ‚Hallo. Das gibt es doch nicht’.

Noch am Vortag waren wir beide oben, in Pavillon zehn. Dort kommen in Wien die taumelnden Seelen hin, denen ein Schokoladetörtchen allein nicht genügt. Ich weiß, dass er oft bis zu zehn gefressen hat oder sogar darüber hinaus. Schokoladetörtchen ist nur so ein Wort dafür. Manche Wörter entlasten, doch ein gewisses Maß an Schuld bleibt, zumindest ein flaues Gefühl.

Die Baumgartner Höhe, sagt er überlaut, war auch nicht das Wahre.

Halt’s Maul, zische ich, denn die Welt ist klein, man darf nicht laut sprechen, das irritiert. Im Schwindeln geschult erkenne ich gleich: Auch seine Tasche hängt schwer nach unten durch.

Er ist das Direkte noch gewohnt. Ich bin schon wieder auf Mimikry.

Er war am Golan gewesen, hat also im Ausland durchgedreht. Das verleiht ihm Flair. Ich hingegen rotierte im Nationalgebiet, ein reines Synapsenproblem. Unkoordiniertes Aneinanderreihen von Bildern dreht bisweilen am falschen Film, Abspann in rot. Da hilft dann ein Mann in Weiß, der Fragen stellt.

Wie geht’s?, fragt Franz, doch ist eine harmlose Frage, vom Falschen gestellt, oft einfach nicht gut.

So schaue ich ziemlich entsetzt.

Ein Schluck zur Deeskalation?, fragt Franz zum Scherz und hält mir ein Fläschchen Underberg vor. In Kriegsherden ist Deeskalation vielleicht gefragt. Nicht so im Wiener Verdichtungsgebiet. Hier geht es im Grunde um nichts, auch das ist für manche ein großes Problem.

Der Wodka, sagt Franz so laut, dass es alle reißt, hat schon den neuen Verschluss. Diebstahlsicherer Flaschenumbau, nicht schlecht. Ein rascher Schluck am Regal ist Bedürftigen nunmehr verwehrt. ‚Das sind die Starken im Lande’, sagt Franz, ‚die unter Tränen lachen, ihr eigenes Leid verbergen und anderen Freude machen.’

Die Diagnose von Franz ist mir von oben bekannt. Eher unheilbar ist das schon, wobei, es gibt ein neues Medikament. Oben, da kennen wir keine Scheu. Keine Schokoladentörtchen, das setzt Blockaden frei. Man redet, als ginge es um das Leben und bei manchen ist es auch so. In meinem Gesicht ist schon wieder der verkniffene Strich. Wie ein Strichcode, ha, ha. Franz ist da anders, er scheißt sich nichts, lebt, irgendwie doch.

Ich zahle still, das stille Zahlen, wenn auch nicht den vollen Preis, ist mir inhärent, und gehe mit meiner schweren Tasche davon. Einmal drehe ich mich noch um und sehe ihm nach. Er hat seine Tasche abgestellt, sein Mantel liegt auf dem Bürgersteig. Er selbst schlägt ein Rad.

Veröffentlicht in der Anthologie "Wie Phönix aus der Asche", 2016